Der Reiher

Giorgio Bassaniwar für mich eine echte Neuentdeckung und eine echte Lücke, wie ich feststellen musste, als ich mich über ihn informierte. Mein erster Roman von ihm ist sein letzter: Der Reiher. Doch zuerst einiges über den Autor:

„Giorgio Bassani (1916 Bologna – 2000 Rom) ist in Deutschland 1963 besonders durch seinen Roman „Die Gärten der Finzi-Contini“ bekannt geworden. Im Mittelpunkt aller Schriften steht die Stadt Ferrara, womit sich Bassani in die Reihe der großen Schriftsteller einreiht, welche die Gesellschaft im Mikrokosmos einer Stadt beschreiben wie Balzac und Zola: Paris, Thomas Mann: Lübeck, Döblin: Berlin, James Joyce: Dublin, Dos Passos: New York.
Bassani, der wie alle jüdischen Schüler und Lehrer im Faschismus aus dem Gymnasium geworfen worden war, war in der Nachkriegszeit eine herausragende Persönlichkeit des italienischen Kulturlebens. Er fungierte als Redakteur, Lektor, Herausgeber, Vizepräsident des staatlichen Fernsehens RAI, Drehbuchautor (bei Antonioni) und Dozent, und er war mit vielen Schriftstellern und Künstlern befreundet, darunter Morandi, Pasolini, Ginzburg, Carlo Levi. Als Lektor beim linksorientierten Feltrinelli-Verlag brachte er den „Leopard“ von Guiseppe Tomasi di Lampedusa heraus, nachdem er den befreundeten Schriftsteller dazu gebracht hatte, das großartige Buch überhaupt zu schreiben. Auch das verdanken wir Bassani. Visconti hat den „Gepardo“ mit Burt Lancaster als Pricipe kongenial verfilmt.) Als anspruchsvoller Stilist, der seine Romane so akribisch überarbeitete wie Flaubert, wurde Bassani mit fast allen Preisen des Literaturbetriebs geehrt.

Obwohl aus großbürgerlichem Hause – viele jüdische Bürger waren in Ferrara in der faschistischen Partei – geht er als Jude und überzeugter Antifaschist in den Widerstand, wird 1943 verhaftet und ins Gefängnis geworfen. In der Zeit der „Dopoguerra“, die in Italien durch die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Kommunisten und Konservativen gekennzeichnet war – eine Auseinandersetzung, die wir hier meist nur als burlesken Streit zwischen Don Camillo und Peppone mitbekommen haben – erhob er seine Stimme unüberhörbar überall da, wo es um Gerechtigkeit und sozialen Fortschritt ging. Er war Mitbegründer und 15 Jahre lang Präsident von „Italia Nostra“, einer inzwischen in fast jeder Stadt vertretenen Organisation, deren Ziel es ist, die Kultur – und Naturgüter gleichermaßen zu bewahren. In dieser Funktion hat Bassani darauf hingewirkt, dass Ferrara um die sog. „Addizione Verde“, einen bis zum Po reichenden Park, erweitert wurde.“

(Vortrag von Burkhard Brunn: „Der überflüssige Mensch.“ Turgeniew)

„Der Reiher“, ein schmales, sehr intensives Buch von nur 152 Seiten, schildert den letzten Tag im Leben von Edgardo Limentani im postfaschistischen Italien. Limentani ist Jude, der während der Mussolini – Zeit in der Schweiz im Asyl war, Rechtsanwalt in Ferrara und Landbesitzer. Eigentlich gehört das Land seiner arischen Frau, die es von ihrem Schwiegervater vorausschauend überschrieben bekam, damit die Faschisten nicht diesen jüdischen Besitz konfiszieren konnten.

Limentani hat beschlossen wieder einmal auf die Jagd in den Valli, einer zwischen Ferrara und dem Po-Delta gelegenen Sumpflandschaft, zu gehen, obwohl es in der Jahreszeit zwischen Weihnachten und Neujahr kalt und teilweise neblig ist. Aber seine Frau langweilt ihn, seine Tochter macht ihn hilflos und sich selbst kann er nur schwer ertragen.

Er fährt viel später los, als er eigentlich wollte, hatte sich noch bei dem Hausmeisterehepaar aufgehalten und dort einen Kaffee getrunken, kann sich einfach nicht aufraffen, aktiv zu werden. Seine Handlungsunfähigkeit zieht sich wie ein deutlicher roter Faden durch den ganzen Roman. Der Grund dafür ist, dass nichts mehr so ist, wie es vor dem Krieg war, dass andere Normen und Werte gelten, an die er sich nicht anzupassen vermag.

In dem Städtchen Codigoro muss er Pause machen, weil er unbedingt eine Toilette benötigt. Beschämenderweise bleibt ihm nur, den ehemaligen Faschisten und nun erfolgreichen Gaststättenbesitzer Bellagamba herauszuklingeln, denn die Cafés sind noch geschlossen. Bellagamba gibt sich ungezwungen und überredet Limentani, noch einen Kaffee mit ihm zu trinken, was dieser widerstrebend tut. Er versucht dabei, seinen Cousin Ulderico telefonisch zu erreichen, erreicht aber nur eines von dessen Kindern. Limentani hatte den Kontakt abgebrochen, weil Ulderico sich opportunistisch verhielt und offensichtlich jetzt keine Probleme mit den Gegebenheiten der neuen Zeit hat.

Mit drei Stunden Verspätung erreicht er die Valli, wo der Jagdgehilfe Gavino noch auf ihn wartet. ZU seinem Erstaunen spricht dieser keinen Dialekt, sondern akzentloses Italienisch, hält aber ansonsten genau die Rolle ein, die von ihm erwartet wird, bis auf eine Ausnahme: Limentani drängt ihm förmlich eines der Gewehre auf, was Gavino schließlich akzeptiert.

Wie sich während der Jagd herausstellt, ist Gavino der Einzige, der schießt und das sehr erfolgreich. Limentani ist untätig, unfähig zu jeder Aktion. Er beobachtet Galvino, die Vögel und die Landschaft, die Bassani großartig beschreibt.

Die besondere Aufmerksamkeit Limentanis wird durch einen Reiher erregt, der bereits zum zweiten Mal langsam und in geringer Höge über sie hinwegfliegt. Limentani identifiziert sich mit diesem Vogel und ist sehr betroffen, als der Jagdgehilfe auf ihn schießt.

Dieser will nach Beendigung der Jagd keine Beute annehmen. So beschließt Limentani, sie Bellagamba zu schenken, bei dem er auf dem Heimweg zu Mittag isst, zu viel Wein trinkt und sich über neureiche Gäste aus Mailand ärgert.

Eindrucksvoll beschreibt Bassani, wie Limentani sich betrunken, übersatt und mit der schweren Jagdausrüstung beladen die Treppe zum 2. Stock hochquält, um etwas zu schlafen, welch wirre Träume er hat. Bei seinem anschließenden Gang durch den Ort geht er zwar zu dem Haus, in dem sein Cousin wohnt, klingelt aber doch nicht. Vielmehr verweilt er vor dem Schaufenster eines Tierpräparators und obwohl er eigentlich keine ausgestopften Tiere mag, ist er fasziniert davon, dass sie ihm lebendiger erscheinen, als wenn sie noch am Leben wären.

Und da beschließt er, noch am selben Tag seinem Leben ein Ende zu setzen. Im Gegensatz zu der bisherigen Passivität geht er zielstrebig und gelassen daran, diesen Entschluss in die Tat umzusetzen.

„Der Reiher“ ist ein Buch über die Einsamkeit, denn Limentani hat das Gefühl nirgends mehr dazuzugehören, über einen Menschen, der sich einer veränderten Welt nicht anpassen kann, beeindruckend und hoch aktuell, wenn man die schnellen Veränderungen betrachtet, denen wir derzeit ausgesetzt sind.

Vielen Dank dem Wagenbach Verlag für das Rezensionsexemplar

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